Kronhardt

Kronhardt

Kronhardt – Willem und die Freiheit

Autor: Ralph Dohrmann
Übersetzer: . / .
Illustrator: . / .

„So stiegen sie den Grubenrand hoch, und hinter ihnen das Gebell wurde leiser. Bald sahen die Jungs eine Libelle; die mathematische Anmut ihrer Geraden, und sie spürten diesen Augenblick in sich, diesen Blick, wenn man frei ist.“

Klappentext: „In der Maschinenstickerei Kronhardt & Sohn rattern nach dem Krieg die Maschinen, als wäre nichts gewesen. Willem, einziges Kind der Firmenerbin, wächst unter der strengen Kontrolle von Mutter und Stiefvater auf. Früh geht er auf Distanz, sucht seine Freiheit auf ausgedehnten Ausflügen in die Natur und in der Begegnung mit ganz unterschiedlichen Menschen. In bewegenden Bildern und einprägsamer Sprache erzählt dieser große deutsche Entwicklungsroman über sechzig Jahre Leben in der Bundesrepublik. Kapitel für Kapitel öffnet sich ein Kosmos aus Ereignissen, Erinnerungen und Blickwinkeln, in dessen Zentrum die Suche des Menschen nach sich selber steht.“

Hauptpersonen:

  1. Willem: …
  2. Doktor Blask: ein vogelartiger Mann mit Kittel und Stirnspiegel.
  3. Mutter: …
  4. Stiefvater : …

Ort:
Zeit: Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, bis in die Gegenwart – über sechzig Jahre Leben in der Bundesrepublik.

Eine Leseprobe:

»Ein uralter Haudegen. Der sich noch immer so glatt in die Kinder schlägt wie am ersten Tag.
Willem lag im Bett, und Doktor Blask hantierte mit dem Spatel. Dann durchleuchtete er ein Auge.
Mit der Einschulung wird das nichts.
Der Doktor war ein vogelartiger Mann mit Kittel und Stirnspiegel.
Er zwackte Willem in die Wange, bis das Fleisch weiß wurde. Na, das ist doch was, und Willem nickte.
Dann kritzelte der Doktor und sah auf. Haben Sie Telefon?
Die Mutter nahm das Papier.
Rufen Sie in der Apotheke an.
Der Frau gefiel die Art des Mannes nicht.
Er hackte mit dem Spiegel. Rasch! Dann stachen seine Beine aus dem Kittel.
Willem sah zu, wie er die Tasche packte.
Weißt du, was Viren sind? Wieviel eine Milliarde ist? Und der Doktor lachte. Dann machte er eine Handbewegung. Kinder sind eine seltsame Sache. Bälger, die ständig schreien und fordern und doch so hilflos sind, daß sie gleich wegsterben, wenn man sich nicht kümmert. So liegen sie da, hilflose Parasiten, und saugen sich die Welt in Eingeweide und Kopf.
Vor allem der Kopf! rief der Doktor. Da entsteht, was später als Welt erscheint, da keimt etwas, da wachsen im Grunde phantastische Möglichkeiten.
Und doch verfestigen sich die jungen Köpfe ganz nach dem Muster der alten, erstarren innerlich und werden selber alt, sobald sie die nächste Generation auf die Welt werfen. Und dann geht das ganze Gezeter wieder von vorne los.
Nichtwahr! So gesehen liegt natürlich alle Schuld ständig bei den Alten. Um so mehr, wenn man davon ausgeht, daß gerade Kinderköpfe offen sind für eine andere Wirklichkeit – eine Welt vielleicht, in der die Zeit rückwärts läuft oder die Naturgesetze sich auflösen.
Willem lag da mit großen Augen.
Und Doktor Blask rief: Na klar habe ich solche Welten schon gesehen! Man kann jede Menge sehen, wenn man nicht so wird wie die Alten.
Dann lachte er. Und eine Milliarde, das ist eine Zahl. Eine Bezeichnung zur Größe einer Menge. Einen Meter beispielsweise, und seine Knie schossen durch den Kittel, kann man in zehn gleich große Stücke unterteilen. In hundert, in tausend, immer kleiner, ohne Ende, und ein Virus ist so winzig, daß sich Milliarden davon in einem Menschen verstecken können. Oder anders: Wenn die Menschen so groß wären wie ein Virus, hätten sie alle auf einem Streichholzkopf Platz.
Doch nur, und er hob einen Finger. Nur weil etwas winzig erscheint, bedeutet das noch lange nicht, daß es tatsächlich so ist. Winzig macht es nur der Mensch, der es betrachtet. Und im Gegensatz zum Menschen kommen Viren nicht als hilflose Bälger auf die Welt, sondern als Spezialisten, und so können sie von Anfang an in die Zellen anderer Lebewesen eindringen. Menschen beispielsweise sind aufgebaut aus Milliarden von Zellen, und jede einzelne bildet eine Einheit, in der etwas funktioniert, das zuletzt den ganzen Organismus am Leben erhält. Und wenn die Viren sich in einer Zelle einnisten, programmieren sie alles auf ihre Bedürfnisse um; sie saugen fremde Energie und verwandeln sie zu ihrem Vorteil, sie vermehren sich, und die Tochterviren dringen in weitere Zellen, nisten sich ein, programmieren, saugen und machens geradeso wie die Alten. …«

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Kronhardt – Willem und die Freiheit

Ralph Dohrmanns mächtiges Romandebüt „Kronhardt“

»Der Sound der Kindheit besteht für den Bremer Jungen Willem aus dem Rattern der Maschinen in der Stickerei-Manufaktur. Willem ist das einzige Kind der Firmenerbin, sein künstlerisch angehauchter Vater starb unter merkwürdigen Umständen. Willems Mutter heiratete schnell neu, zweckmäßig und standesbewusst. Es ist die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, von der aus Ralph Dohrmann in seinem Romandebüt „Kronhardt“ (Ullenstein, 24,99 Euro) einen gewaltigen Bogen bis in die Gegenwart schlägt.

Mit der Wucht von über 920 Seiten fordert Dohrmann seine Leser heraus. Immer steht Willem im Zentrum, seine Abhängigkeit, sein Streben nach Selbstbestimmung, seine Zerrissenheit zwischen der Tradition einer Fabrikantenfamilie und den Verlockungen einer Zeit mit radikal anderen Entwürfen zur Lebensgestaltung. Gelungen ist dem 1967 geborenen, in Bremen aufgewachsenen Autor ein Zeitpanorama, das drastisch und milieugenau daherkommt, das klare Rollenzuweisung und in einem zweiten Teil noch einmal neu anhebt. Da bringt ein fantastisch anmutendes Detektivpärchen Willem auf neue Spuren der eigenen Geschichte.

Dohrmann hat ein sprachmächtiges und sprachverliebtes Debüt hingelegt, bei ihm „stridulieren“2) die Grillen. Manierismen3) von der Wortwahl bis in den Satzbau lassen dennoch wiederholt spüren, wie sehr der Autor den ganz großen Wurf mit seinem Roman herbei schreiben will. Das gilt auch für süffisante Nebenhandlungen wie die vom sagenumwobenen fossilen Schädel, der die Naturwissenschaften beschäftigt – und beschädigt. Doch bei allem Abschweifen, bei allem Aufsprengen der Erzählebene fesselt die Farbigkeit des Erzählens, und bleibt Willems Weg zwischen Konvention und individueller Freiheit spannend.«1)

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1) Quelle: LZ, oc, 22./23. September 2012

2) stridulieren: Als Stridulation wird eine spezielle Form der Lauterzeugung bei Insekten und Spinnen durch Reiben zweier gegeneinander beweglicher Körperteile bezeichnet.

3) Manierismen: Neben der kunstgeschichtlichen Bedeutung wird der Begriff auch universell benutzt und bezeichnet dann eine Handlung oder Haltung, die als gekünstelt („manieriert“), pathetisch oder schwülstig empfunden werden kann.

Pressestimmen:

  • Buchjournal, Ulrich Baron, 01.08.2012: „Die Sicherheit, mit der Dohrmann auf über 900 Seiten seine Spannungsbögen schlägt, ist erstaunlich.“
  • NDR1, Norbert Bourgeon, 21.08.2012: „Eine literarische Meisterleistung.“
  • Nordwest Zeitung, Thorsten Kuchta, 27.08.2012: „… all das beschreibt Dohrmann in einzigartiger und bildmächtiger Sprache.“
  • foyer – Bremer Kulturzeitschrift, Inge Zenker-Baltes, 15.09.2012: „Alles in allem – ein fesselndes, humorvoll-sarkastisches und bezaubernd weises Buch.“

Eigene Meinung / Fazit:

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Beurteilung des Buches:

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Verlag: Ullstein Hardcover (23. August 2012).
Seitenanzahl: 928 Seiten.
Bindung: gebundene Ausgabe.
ISBN-10: 3-550-08878-7.
ISBN-13: 978-3-550-08878-0.
Preis: EUR 24,99.

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