Die Juwelendiebe

Es sollte ein ganz gewöhnlicher Familienurlaub an der Nordsee in St.-Peter-Ording werden. Sonne im Strandkorb tanken, Sandburgen bauen, Muscheln sammeln und Drachen steigen lassen. Aber es kam alles ganz anders. Doch am besten fange ich an dieser Stelle ganz von vorne an. Ganz früh am Morgen, das ganze Dorf schlief noch, starteten wir, meine Eltern, meine 2 Jahre jüngere Schwester und ich in unseren Sommerurlaub. Endlich, nach über 2 Stunden Autofahrt, erreichten wir fast unser Urlaubsziel. Jedoch nur fast, denn was wäre so ein Urlaub ohne Bildungsprojekt. Dieses Mal hieß das Projekt »Eider und Eidersperrwerk«. Wir biegen also zunächst von der A 23 in Richtung Eidersperrwerk ab. Auf dem Parkplatz am Eidersperrwerk – nichts wie raus aus dem Auto und Beine vertreten. Vom Parkplatz am Eidersperrwerk haben wir einen freien Blick auf die Eider, die an dieser Stelle fast zwei Kilometer breit ist. Küstenseeschwalben und Möwen kreischen und die Luft riecht nach Salz und Meer. Wir waren nicht die einzigen Touristen an diesem Morgen. Hier standen schon einige Autos und die KFZ-Kennzeichen verrieten mir die Herkunft der Touristen. Lauter Mittelklasseautos und Familien-Vans und mittendrin parkte ein nagelneuer auf Hochglanz polierter silberner Mercedes-Benz Sportwagen der Generation SLK 200. Mama und meine Schwester verschwanden zuerst auf die Toiletten. Typisch Frauen! Papa wollte sich solange im Souvenir-Shop umsehen. Ich blieb draußen vor dem Shop stehen und schaute mir gerade die Karten auf dem Ansichtskartenständer an, als ich zwei Männerstimmen hinter dem Ständer sagen hörte: „Die Juwelen müssen heute noch weg. Wir treffen den Kurier um 17:00 Uhr, Arche Noah – Sansibar.“ In diesem Moment kam meine Familie zurück und Papa sagte: „Na dann, lasst uns mal zum Sperrwerk gehen.“ Als wir gerade auf die Aussichtsplattform zugingen, sah ich doch glatt wie sich zwei braungebrannte Männer mit gegelten schwarzen Haaren ihre dunklen Sonnenbrillen aufsetzten und mit dem tiefer gelegten Mercedes-Benz SLK 200 Cabrio davonfuhren. Das waren bestimmt die Männer, deren Gespräch ich zufällig mit angehört hatte. Doch weiter kam ich nicht mit meinen Überlegungen, denn Papa fragte mich gerade: „Wie lang ist die Eider?“ ,,188 km“, sagte ich wie aus der Pistole geschossen. „Super, das stimmt.“ Freute sich mein Vater. „Und kannst du mir auch sagen, wo die Quelle liegt?“ setzte mein Papa gleich nach. „Bei Bordesholm“ entgegnete ich. Nachdem wir uns dann das Sperrwerk ganz ausführlich angesehen hatten, kamen wir kurze Zeit später in unserem 4-Sterne Hotel „Haus an de Dün“ in St.-Peter-Ording an. Nachdem wir unsere Koffer ausgepackt hatten, wollten wir an den Strand gehen. Doch hinter dem Deich war kein Strand sondern eine Graslandschaft mit Prielen und Wanderwegen. Über diese Gras- und Dünenlandschaft führte eine lange Holzbrücke für Fußgänger zum Strand hinunter. Laut dem Wegweiser am Deich mussten wir 1 km bis zum Strand laufen. Am Ende der Brücke ragte ein riesiger Pfahlbau aus dem Sand. Ich wollte gerade die letzten Meter der Holzbrücke zurücklegen, als mir ein großes Schild an dem Pfahlbau auffiel. Auf dem Schild stand: „Arche Noah – Sansibar“ Jetzt war mir alles sonnenklar. Die „Arche Noah – Sansibar“ ist ein Restaurant, das auf einem Pfahlbau errichtet wurde unter dem die Nordsee bei Flut durchschwappt. Beinahe hatte ich die zwei Männer mit dem Mercedes-Benz SLK 200 Cabrio vergessen. Doch nun passte alles zusammen. Hier also wollten sie um 17:00 Uhr ihren Mittelsmann treffen.

Meine Eltern wollten unbedingt diesen herrlichen, breiten, 12 km langen Strand erkunden. In der Zwischenzeit bauten meine Schwester und ich mit unseren mitgebrachten Schaufeln eine große, prächtige Sandburg mit vielen Türmen. Mit unseren gesammelten Muscheln legten wir den Schriftzug „St.-Peter-Ording 2011“ auf unsere Burg. Gegen 16:30 Uhr machte ich mich auf zur Sansibar. Dieses Mal hatte ich mein iPhone dabei. Ich suchte mir einen Platz, so dass ich die Eingangstür stets im Auge behalten konnte. Und richtig: Punkt 16:55 Uhr kamen die beiden, mir bereits beim Eidersperrwerk aufgefallenen Männer durch die Restauranttür. Sie steuerten zielstrebig den Tisch in der hintersten Ecke der Sansibar an, während sie gleichzeitig dem Wirt ihre Bestellung zuriefen: „Zweimal Sunny Beach mit einer doppelten Portion Crushed lce.“ Keine fünf Minuten später öffnet sich abermals die Tür und es erscheint ein Dressman. Er trägt einen anthrazitgrauen Armani Anzug, ein schneeweißes Oxfordhemd mit Button-down-Kragen sowie einer dezent gemusterten zart rosafarbenen Krawatte. Seine graumelierten Haare sind auf exakt 12 mm Länge geschnitten. Er schaute sich kurz im Lokal um und setzte sich zu den beiden anderen Männern an den Tisch. Das war er also, der Mittelsmann. Damit ich ihr Gespräch belauschen und mit meinem iPhone aufzeichnen konnte, musste ich mich möglichst unauffällig an einen Nachbartisch setzen. Das ganze Gespräch dauerte 15 Minuten. Die drei Männer nickten sich einvernehmlich zu und verließen die Sansibar. Ich sah noch wie der Dressman seine Brieftasche aus Krokodilleder zückte und dem Wirt 20 Euro für die beiden Cocktails auf den Tresen legte. Da hatte ich ja einen ganz dicken Fisch an der Angel. Damit der Fisch am Haken blieb und auch ins Netz ging, rief ich sofort die Polizei an. Der diensthabende Polizeibeamte bat mich sofort auf die Polizeistation St.-Peter-Ording in den Deichgrafenweg 4 zu kommen. Dort angekommen brachte man mich sofort zu Hauptkommissar Dittelbach von der SOKO „Juwelenraub“. Ich erzählte dem Hauptkommissar in kurzen Zügen, was ich beobachtet hatte und übergab ihm mein iPhone mit der MP3-Datei als Beweismittel. Am nächsten Tag holte ich mir noch vor dem Frühstück die Tageszeitung von der Hotelrezeption. Schon auf der Titelseite las ich folgende Schlagzeile: „Juwelendiebe gingen der Polizei am Strand St.-Peter-Ording ins Netz.“ Darunter stand: „Gestern Nacht, um 22:00 Uhr vereitelte die Polizei am Strand eine Juwelenübergabe an einen Kurier und nahm dabei drei Männer fest.“ Des Weiteren sprach der Zeitungsartikel davon, dass zwei der mutmaßlichen Juwelendiebe über den tödlichen Priel vom Strand flüchten wollten. Da jedoch Flut war, saßen sie im Wasser fest. Die Presse vermutet, dass die Polizei einen Tipp aus einschlägigen Kreisen erhalten hatte. Am nächsten Morgen brachte mir Hauptkommissar Dittelbach persönlich mein iPhone zurück. Meine Aufnahmen waren natürlich gelöscht. Er bedankte sich für meinen persönlichen Einsatz und sagte mir, dass sich die Versicherung bestimmt noch wegen einer Belohnung bei mir melden würde. Jetzt konnte hoffentlich ein ganz gewöhnlicher Urlaub beginnen.

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„Reisen veredelt wunderbar den Geist
und räumt mit all unseren Vorurteilen auf.“

Oscar Wilde, Oscar Fingal O‘ Flahertie Wills Wilde (1854 – 1900),
war ein irischer Schriftsteller.

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