Die Machiavellis der Wissenschaft

Das Netzwerk des Leugnens.

Reihe: Erlebnis Wissenschaft.

Autor: Naomi Oreskes
Autor: Erik M. Conway

Klappentext:

„Die Täuschung von Presse und Öffentlichkeit durch gezielte Verbreitung wissenschaftlicher Halbwahrheiten: Lesen Sie, wie US-amerikanische Lobbygruppen ihre politischen und ökonomischen Ziele durchzusetzen versuchen. Großartig recherchiert und spannend geschrieben.“

Presseinformation des Verlags:

Lobbyismus und Forschung.

»Der Plot1) ist hollywoodreif, die Geschichte so skandalträchtig wie bestürzend: Eine Handvoll Forscher leugnet, manipuliert und diskreditiert anerkannte wissenschaftliche Tatsachen wie den Klimawandel oder den Zusammenhang zwischen dem Rauchen und gesundheitlichen Risiken. Doch „Die Machiavellis der Wissenschaft“ (im Original „Merchants of Doubt“) ist kein fiktiver Roman, sondern berichtet von der Realität. In den USA sorgte das Buch von Naomi Oreskes und Erik M. Conway für Furore und wurde zum Bestseller. Kein Wunder, die Geschichte, die sie erzählen, ist schließlich unglaublich – es ist die Geschichte über den Kampf gegen Fakten und über den Handel mit dem Zweifel, über die Manipulation der Medien und die Diffamierung Einzelner. Und sie geht uns alle an. Schließlich lehnten die USA als einzige Industrienation die Ratifizierung des Kyoto-Protokolls ab und verhinderten so wichtige Schritte des Klimaschutzes. Das Buch erscheint nun in deutscher Übersetzung bei WILEY-VCH.

Im September und Oktober läuft nun auch der Dokumentarfilm zum Buch, „Merchants of Doubt“, auf dem Toronto International Film Festival (9. und 10. September) und auf dem New York Film Festival (8. und 9. Oktober). Regisseur ist Robert Kenner, er erhielt 2008 eine Oscar-Nominierung für seinen Dokumentarfilm „Food Inc.“

Eine Schlammschlacht: Lancierte Medienkampagnen und haltlose Vorwürfe.

Diese Forscher – allen voran Fred Singer und Fred Seitz – lancierten Kampagnen in den Medien und verbreiteten gezielt Fehlinformationen im wissenschaftlichen Umfeld. Sie schreckten auch nicht vor persönlichen Angriffen auf seriöse Kollegen zurück. So nahmen sie z. B. Ben Santer ins Visier, einen weltweit geachteten Wissenschaftler, der zur Klimaerwärmung forscht. Plötzlich beschuldigte ihn eine Gruppe von Physikern aus Washington, seine Forschungsergebnisse für den Weltklimarat-Bericht manipuliert zu haben. Er weist darin nach, dass die Klimaerwärmung tatsächlich durch die Treibhausgase verursacht wird. Ben Santer wurde verunglimpft, seine Ergebnisse wurden in Zweifel gezogen; eine Schlammschlacht und eine sehr bittere Erfahrung für den Wissenschaftler, die bis ins Privatleben hineinreichte. „Noch heute wird dieser sonst ruhige Mann bleich vor Wut, wenn er an die damaligen Ereignisse denkt.“, so Oreskes und Conway.

Die „Tabakstrategie“: Zweifel säen, die Kontroverse am Leben halten.

Die Gegner von Ben Santer wendeten die sogenannte „Tabakstrategie“ an. Das wurde Santer klar, als er zufällig auf einen Artikel stieß, der beschrieb, „wie Wissenschaftler an einem von der Tabakindustrie organisierten Programm teilgenommen haben. Sie sollten dabei wissenschaftliche Tatsachen diskreditieren, die einen Zusammenhang zwischen Tabakkonsum und Krebs aufzeigen.“ Die Taktik, eine Kontroverse am Leben zu erhalten, Zweifel zu säen, war genau jene, die auch bei ihm „angewendet“ worden war.

Ein Lehrstück über die Macht der Industrielobby und ihre Handlanger aus Politik und Wissenschaft und ein Beweis dafür, wie erschreckend einfach es möglich ist, mit unlauteren Absichten selbst seriöse Medien zu beeinflussen und mit nachweislich falschen Informationen zu „füttern“.

Die Autorin Naomi Oreskes wird am 16. Oktober 2014 die Keynote zur Eröffnung der Veranstaltungsreihe „Das Anthropozän-Projekt“ im Haus der Kulturen der Welt in Berlin halten.«

1) Plot: Handlungsgerüst einer epischen oder dramatischen Dichtung, eines Films.

Eine Leseprobe:

1. Unser Produkt ist der Zweifel

„Am 9.Mai 1979 versammelten sich Geschäftsführer der Tabakbranche, um ein bedeutsames neues Programm kennenzulernen. Eingeladen wurden sie von Colin H. Stokes, dem ehemaligen Vorstandsvorsitzenden der Firma R.J. Reynolds. Die Firma ist für ihre Pionierrolle in der Produktvermarktung berühmt, zum Beispiel für die ersten Zigarettenwerbespots in Radio und Fernsehen (»Ich geh’ meilenweit für eine Camel«). Die Geschäftsführer waren aber nicht gekommen, um von neuen Produkten oder Marketingstrategien zu hören. Es ging um Wissenschaft: Der Star des Abend war nicht Stokes, sondern Frederick Seitz, ein älterer Physiker mit Brille und schütterem Haar.

Seitz war einer der renommiertesten Wissenschaftler Amerikas. Er gehörte zu jenen hellen Köpfen, die beim Bau der Atombombe mitgeholfen hatten. Seitz hatte eine glänzende Karriere durchlaufen: In den 1950er Jahren war er wissenschaftlicher Berater der NATO, in den 1960ern Präsident der Nationalen Akademie der Wissenschaften und in den 1970ern Präsident der Rockefeller-Universität, Amerikas führender biomedizinischer Einrichtung. Seitz war gerade in den Ruhestand getreten und sprach nun von dem neuen Programm, das er für R.J. Reynolds zur Förderung der biomedizinischen Forschung an größeren Universitäten, Krankenhäusern und Forschungseinrichtungen im ganzen Land durchführen würde. Im Fokus dieses Programms standen degenerative Krankheiten: Krebs, Herzkrankheiten, Lungenemphyseme und Diabetes, die häufigsten Todesursachen in den Vereinigten Staaten.

Das von Seitz geführte Projekt war groß: 45 Millionen Dollar standen ihm für die nächsten sechs Jahre zur Verfügung. Mit dem Geld sollten Forschungen in Harvard, an den Universitäten von Connecticut, Kalifornien, Pennsylvania und Washington, am Sloan-Kettering-Institut und, nicht überraschend, an der Rockefeller-Universität gefördert werden.1) Normalerweise lag das Budget für solch einen Zeitraum bei 500 000 $ pro Jahr.2) Das neue Programm hatte zum Ziel, 26 Forschungsprojekte im Bereich der chronischen degenerativen Krankheiten, der Grundlagenimmunologie und des Einflusses der Lebensweise auf Krankheiten zu unterstützen und über ein RJR-Forschungsstipendium sechs junge Wissenschaftler zu fördern.3)

Seitz’ Aufgabe war es, die zu fördernden Projekte auszuwählen. Er sollte die Forschungen anstoßen, überwachen, und Fortschritte an R.J. Reynolds berichten. Um die Projektkriterien zu definieren, erhielt er Unterstützung von zwei anderen prominenten Kollegen: James A. Shannon und Maclyn McCarty. Shannon war ein Arzt, der während des Zweiten Weltkriegs Pionierarbeit beim Einsatz von Atabrine, einem Malariamedikament, geleistet hatte. Atabrine war effektiv, aber hatte katastrophale Nebenwirkungen. Shannon fand heraus, wie dieses Medikament ohne Nebenwirkungen angewendet werden konnte. Anschließend leitete er ein Programm, bei dem das Medikament bei Millionen von Soldaten im Südpazifik eingesetzt wurde.4) In den Jahren 1955 bis 1968 gestaltete er als Direktor das National Institute of Health (NIH) völlig um. Er erhielt für das NIH die Erlaubnis, Fördermittel an Universitäts- und Krankenhausforscher zu vergeben. Vorher wurden Finanzierungen nur innerhalb des NIH vergeben; für die biomedizinische Forschung an amerikanischen Krankenhäusern und Universitäten waren nur wenige Gelder verfügbar. Das neue, externe Förderprogramm wurde extrem populär und erfolgreich. Es katapultierte die Vereinigten Staaten an die Spitze der biomedizinischen Forschung. Trotzdem bekam Shannon nie den Nobelpreis oder die Nationale Wissenschaftsmedaille, nicht einmal den Laskerpreis, von dem oft gesagt wird, er sei der beste neben dem Nobelpreis. …“

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Fußnoten/Erläuterungen

1) Executive Summary, 1987, Bates-Nummer (BN): 507720494, Legacy Tobacco Documents Library; A Discussion of Tobacco Industry and R.J. Reynolds Industries’ Support of Biomedical Research, BN: 504480429, Legacy Tobacco Documents Library.
2) Frederick Seitz zu H.C. Roemer, 1. Mai 1978, BN: 504480670, Legacy Tobacco Documents Library.
3) Executive Summary, 1987, BN: 507720494; siehe auch William D. Hobbs zu J. Paul Sticht, RE: Corporate Support of Biomedical Research, 29. Mai 1980, BN: 504480340, Legacy Tobacco Documents Library; und A Discussion of Tobacco Industry and R.J. Reynolds Industries’ Support of Biomedical Research, BN: 504480429, Legacy Tobacco Documents Library.
4) Atabrine and New Pharmacology. The AMINCO-Bowman SPF: Special Spotlights, http://history.nih.gov/exhibits/bowman/SSatabrine.htm.

Aus dem Inhalt:

  1. Unser Produkt ist der Zweifel
  2. SDI, falsche Fakten und das Marshall-Institut
    Krieg der Sterne: Die Strategische Verteidigungsinitiative (SDI)
  3. Die Saat des Zweifels: Der saure Regen
  4. Die Konstruktion eines Gegenentwurfs: Der Kampf um das Ozonloch
  5. Was ist solide Wissenschaft? Wer legt das fest? Der Kampf um das Passivrauchen
  6. Die Leugnung der Klimaerwärmung
  7. Die revisionistische Attacke auf Rachel Carson
  8. Fazit: Von freier Rede und freien Märkten
  9. Epilog: Eine neue Sicht auf die Wissenschaft

Pressestimmen:

  • www.media-spider.com, 09/2014: „Ein Buch, das dem Leser in Bezug auf Propaganda und Lobbyarbeit durch skrupellose Wissenschaftler die Augen öffnet.“
  • Thomas Weber, FAZ 10/2010: „Unter ernstzunehmenden Klimawissenschaftlern ist der Wandel bewiesen, trotzdem versuchen Leugner sich zu etablieren. Naomi Oreskes und Erik Conway machen die Praktiken in einem hervorragend dokumentierten und fesselnd geschriebenen Buch deutlich.“

Eigene Meinung / Beurteilung des Buches:

In ihrem Buch, das sich wie ein »Thriller der Wissenschaft« liest, legen die beiden US-Autoren Naomi Oreskes und Erik M. Conway die skrupellose Verschleierungsstrategie der Industrie- und Politik-Lobbyisten offen, wobei deren Strategie darin besteht, die Wissenschaft mit der Wissenschaft zu bekämpfen und zwar mit dem Ziel, den bestehenden wissenschaftlichen Konsens in eine wissenschaftliche Debatte zu verwandeln. Es werden die gewissenlosen Praktiken einer Gruppe von „Anti“-Wissenschaftlern – insbesondere bestehen aus den vier Physikern Frederick Seitz, Siegfried Frederick Singer, William Aaron Nierenberg und Robert Jastrow – geschildert, wie diese unbequeme und unerwünschte wissenschaftliche Expertisen und Forschungsergebnisse in Zusammenarbeit mit den Interessenverbänden der Industrie diffamieren und deren Forscher und Verfasser diskreditieren. Diese Gruppe der »Machiavellis der Wissenschaft« leugnen wider besseren Wissens die Existenz von realen und wissenschaftlich belegten Probleme wie beispielsweise die Strategische Verteidigungsinitiative (»Krieg der Sterne« resultierend aus dem »Kalten Krieg«), die Zunahme des sauren Regens, die Zerstörung des Ozons in der Stratosphäre, die Gefahren durch das Passivrauchen und die Zunahme der Klimaerwärmung. Allen Lesern, die sich objektiv über die Gefahren und Folgen des Rauchens und des Passivrauchens informieren möchten, sei das Kapitel »Starker Tobak« (S. 168 – 189) aus dem Buch »Chemische Leckerbissen« von Prof. Dr. Klaus Roth als vertiefende Lektüre sehr empfohlen.

Die beiden Autoren zeigen und belegen anhand von detaillierten Fußnoten und Erläuterungen am Schluss eines jeden Kapitels wie unredliche Wissenschaftler aufgrund ihrer wissenschaftlichen Reputation, ihres Einflusses und mit der Hilfe der Industrie, der Politik und der Medien fundierte und wissenschaftliche Beweise anfechten und durch eine gezielte Streuung von Fehlinformationen aufrichtige und seriöse Wissenschaftler und ihre wissenschaftlichen Forschungsergebnisse angreifen.

Fazit:

Trotz aller Kritik an einzelne fehlgeleitete Wissenschaftler ist dieses Buch abschließend ein Plädoyer für die moderne Wissenschaft, denn viele praktische Errungenschaften basieren auf der Grundlage von modernen wissenschaftlichen Erkenntnissen, die heute unser tägliches Handeln bestimmen. Ein wirklich lesenswertes Buch, das brisante und hochaktuelle Themen kritisch und wissenschaftlich fundiert beleuchtet.

„Jemand, der es darauf anlegt, in allen Dingen moralisch gut zu handeln,
muß unter einem Haufen, der sich daran nicht kehrt, zu Grunde gehen.“

Niccoló Machiavelli (1469 – 1527),
italienischer Staatsmann und Schriftsteller.

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1) Machiavellismus: „Machiavellismus ist eine im 16. Jahrhundert aufgekommene Bezeichnung für eine Niccolò Machiavelli (1469 – 1527) zugesprochene politische Theorie, nach der zur Erlangung oder Erhaltung politischer Macht jedes Mittel unabhängig von Recht und Moral erlaubt ist.“
Quelle: wikipedia.org – Machiavellismus

2) Frederick Seitz: „Frederick Seitz (* 4. Juli 1911 in San Francisco; † 2. März 2008 in New York City) war ein US-amerikanischer Physiker.“
Quelle: wikipedia.org – Frederick Seitz

3) Siegfried Frederick Singer: „Siegfried Frederick Singer (* 27. September 1924 in Wien), kurz Fred Singer, ist ein US-amerikanischer Atmosphärenphysiker.“
Quelle: wikipedia.org – Siegfried Frederick Singer

4) William Aaron Nierenberg: „William Aaron Nierenberg (* 13. Februar 1919 in New York City; † 10. September 2000 in La Jolla) war ein US-amerikanischer Physiker.“
Quelle: wikipedia.org – William Aaron Nierenberg

5) Robert Jastrow: „Robert Jastrow (September 7, 1925 – February 8, 2008) was ein US-amerikanischer Astronom und Physiker.“
Quelle: wikipedia.org – Robert Jastrow

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Buchcover:

Die Machiavellis der Wissenschaft - Das Netzwerk des Leugnens - von Naomi Oreskes und Erik M. Conway ist erschienen im Wiley-VCH Verlag

Die Machiavellis der Wissenschaft - Das Netzwerk des Leugnens - von Naomi Oreskes und Erik M. Conway ist erschienen im Wiley-VCH Verlag

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Verlag: Wiley-VCH Verlag; 1. Auflage (17. September 2014).
Seitenanzahl: 280 Seiten.
Bindung: Gebundene Ausgabe.
ISBN-10: 3-527-41211-5.
ISBN-13: 9-783527-41211-2.
Preis: EUR 24,90.

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